1) Liebe Isgaard, Whiteout ist dein siebtes Soloalbum. Auch bei diesem Album hast du wieder hervorragende Gastmusiker dabei. Wie liefen die Vorbereitungen für das Album, was wolltest du anders machen als beim letzten Album?

Jens und ich (Jens gehört ja fest als Produzent, Schlagzeuger, Keyboarder und an den Backingvocals zu dem Projekt, auch, wenn ich es nach außen verkörpere) tauschen uns immer sehr rege aus, wenn es darum geht, ein neues Album in Angriff zu nehmen. Im Prinzip sind wir stilistisch spätestens mit dem vierten Album „Playing God“ dort angekommen, wo wir immer hinwollten, trotzdem entwickelt man vor einem neuen Album immer eine Vision, wohin es gehen soll. Wir wollten dieses Mal noch „freier“ sein, uns noch weniger Grenzen setzen und auch was die soundmäßige Bandbreite angeht noch variabler werden, vor allem ein paar Gitarren mehr einsetzen. Das war am Anfang recht schwer und (wie bei jedem Mal) gab es eine „Findungsphase“ mit einigen Reibereien und Diskussionen, denn Jens' Wurzeln liegen eigentlich im Progressive Rock der 70er und in dert Klassik und einige der ersten Ideen, die er mir vorgestellt hat, waren mir dann zu schräge, andere – wie zum Beispiel WHITE OUT PART III – haben mich sofort geflasht. Aber schließlich haben wir uns auch dieses Mal „eingegroovt“; jeder musste ein paar Federn lassen und letztendlich ist soetwas meist förderlich.

2) Was ist die Geschichte des Albums? Ihr habt eine Song-Trilogie gleichnamig mit dem Titel des Albums. Was ist die Idee?

Ja, das ist der Einfluss des Progressive Rock / Art-Rock auf dem Album. Wir wollten eine Geschichte als Metapher für den Zustand der Welt in ihrer Gesamtheit und gleichzeitig auch für die Situation vieler einzelner Menschen kreieren. Es geht um Orientierungslosigkeit in Situationen, in denen wichtige Entscheidungen notwendig sind. Der „klassische“ Whiteout ist eine Situation, in der schneebedeckter Boden und Himmel am Horizont nahtlos ineinander übergehen und man nicht mehr erkennt, wo das Land endet und der Himmel beginnt.

3) Es wird auch eine Single und ein Video geben, magst du uns mehr darüber erzählen?

Eine Single ist ja zwangsläufig immer der Song, der am ehesten Radio-kompatibel ist, was bei unserer Musik nicht so einfach ist ;-)
Allerdings ist YOU DIDN'T FALL wirklich passend und sollte eigentlich keinen Hörer überfordern. Beim Inhalt wird es dann aber doch wieder ernster: Der Song greift am Beispiel von Malala Yousafzai (die pakistanische Friedensnobelpreisträgerin, auf die von den Taliban ein Mordanschlag verübt wurde, den sie glücklicherweise überlebt hat) die Problematik des Bildungsverbots für Frauen und Mädchen in fundamentalistisch-islamischen Ländern auf. Isgaard spielt im Video eine Reporterin, die dazu recherchiert und Informationen zusammenträgt. Eine zentrale Aussage ist „I AM YOUR SILENT WITNESS“, soll heißen: Wir dürfen nicht wegsehen, sondern müssen Zeugnis ablegen und es in die Welt hinaus tragen.

4) Die Songs hast du mitgeschrieben, ebenso dein Produzent Jens Lueck. Kannst du uns zu jedem der Songs ein paar Worte sagen zur Musik und zum Text?

- Prologue-> man kann toll in das Album einsteigen

Prologue ist eine Art Vorwort, eine Einführung in das Album. Es beschreibt mein Gefühl, wenn ich unsere heutige Zeit und all das, was auf der Welt derzeit passiert, betrachte. Wir haben scheinbar vergessen, woher wir kommen und was für ein verrücktes Wunder es ist, dass wir existieren. Trotzdem verhalten wir uns als gesamte Spezies manchmal, als wären wir Insassen eines Irrenhauses, das zugesperrt ist und dessen Schlüssel man weggeworfen hat. Musikaliscxh ist das Stück auch ein bisschen wie die Ouvertüre zum Album. So kommen einige Fragmente des Prologues auch später wieder vor.

- No Man´s Land-> Was war der Auslöser, es no man´s Land zu nennen?

Der Song eschreibt die Gefühle eines Flüchtlings, der seine Heimat aufgrund von Krieg, Hunger oder Verfolgung verlassen muss und der plötzlich vor einem Grenzzaun steht. Gestrandet im Niemandsland, weit weg von zuhause und „zwischen den Welten“.
Musikalisch ist das eines dieser Stücke, die sich entwickeln, die am Anfang noch gar nicht erahnen lassen, wohin es geht. Ich liebe das Gitarrensolo am Ende ;-)

- Shine on-> Schöner chinesischer Einstieg, dramatisch?

Findest Du das asiatisch anmutend? Ist eigentlich eine total westliche Harmonik, die auf Pentatonik (das ist die einfachste Pop-/Rock-Skala, die es gibt). Vermutlich lösen die glockenartigen Sounds das bei Dir aus. Dieses Stück ist definitiv Peter Gabriel- beeinflusst. Im Text geht es um den Einfluss der Kunst (Literatur, Malerei, Musik, etc.) auf uns. Was wäre ein Leben ohne all das?

- You didn´t fall (I am your witness)-> etwas rockiger, epic rock?

Wenn man so will, ja. Das war aber nicht der bewusste Fokus. Inspiriert ist der Song eher durch eine Mischung von Pink Floyd, alten Coldplay-Songs und Kate Bush.

- Silent Stranger - > Wer ist der Silent Stranger?

Der SILENT STRANGER ist eine Metapher für das negative, resignierende, ängstliche Alter Ego, den nihilistischen Anteil, ausgelöst durch Traumata oder negative Erlebnisse in der Kindheit, den die meisten von uns in sich tragen; ein Synonym für einen Wesenszug, der uns immer wieder hindert und verunsichert, mit dem man sich aber auch „versöhnen“ kann. Musikalisch ist das Stück sehr „warm“ mit einer tollen Akustikgitarre von Dieter Koch und Jens hat ein paar rhythmische Spielereien eingebaut, um die einzelnen Parts voneinander abzusetzen.

- Tikdabra (Dried out Land)-> Was bedeutet Tikdabra? Sehr mystisch


Tikdabra ist der Name einer Ebene in der Sahara, die einer der extremsten Orte auf unserem Planeten ist. Dort gibt es keine Dünen und es ist so heiß und trocken, dass nicht einmal Bakterien überleben. Dort ist buchstäblich NICHTS Lebendiges. Im Roman „Tuareg“ von Alberto Vazquez Figueroa durchquert die Hauptfigur diese Ebene auf der Flucht vor seinen Verfolgern. Musikalisch greifen wir hier in die Ethno- /Weltmusikkiste. Einflüsse aus anderen Kulturkreisen haben wir immer schon sehr gerne eingesetzt. Und bezüglich des Gesanges im Endpart sind wir nun schon mehrfach gefragt worden, wer das denn gesungen hätte....lach....aber das bin auch ICH!

- Silva – hört sich sehr märchenhaft an J was steckt dahinter?

Silva (lateinisch: Der Wald) ist ein Song, der die Begegnung mit einer imaginären Naturgöttin thematisiert. Ein Mann, der sich im Wald verlaufen hat und dort notgedrungen übernachten muss, erfährt die Urkraft der Natur, die eine grundlegende Energiequelle sowohl für den menschlichen Körper als auch für Geist und Seele darstellt. Das Stück ist ein bisschen ein Zugeständnis an die Fans der ersten beiden Isgaard-Alben von 2003 und 2004. Bei Jens und mir persönlich landet Silva eher auf den hinteren Plätzen ;-) Aber es gibt ja zwangsläufig immer vordere und hintere Plätze, was ja nicht bedeutet, dass man etwas nicht mag.

- Fly away - > Part II? Der Song baut sich schön auf

Teil 1 dieses Stückes findet sich auf dem 2012 erschienenen Isgaard-Album „Playing God“ und beschreibt das extreme Glücksgefühl, dass manche Menschen packt, wenn sie hoch oben stehen und auf eine wunderschöne Landschaft blicken (man möchte am liebsten abheben und fliegen). Part 2 setzt sich mit der gegenteiligen Erfahrung auseinander. Angesichts dessen, was die Menscheit sich selbst und unserem Planeten antut, möchte man manchmal einfach nur WEG von hier. Musikalisch vereint der Song dunkle Percussion und Elektronic-Beats mit einer eher Pink-Folydesken, gitarrengeprägten Atmosphäre und auch von den Gesangsfarben spannt sich hier ein weiter Bogen von eher Kate-Bush-artigen Strophen bis zu fast klassischen Phrasen am Ende des Refrains.

- Into the great white open-> sehr schöne Balade mit Streicher, sehr tiefgehend

Das Stück beschreibt die innere Leere und Kraftlosigkeit, die manche Menschen in unserer kalten Leistungsgesellschaft spüren (auch wir!). Der Blick an einen Himmel voller Sterne und die Macht und Schönheit des Universums bei der gleichzeitigen Möglichkeit, das tatsächlich auch zu begreifen, als „kleiner Mensch“ in die Unendlichkeit zu blicken, bringt den Blick und das Empfinden für das Wesentliche zurück. Hier hat Jens ganz tief in die Klassik-/Filmmusikkiste gegriffen. Wir stehen beide auf diese Streichorchester-Arrangements (ja, es sind zu 70% echte Streicher ;-), die klar durch Romantik und Impressionismus geprägt sind.

- Whiteout part 1-3 (The book/Shifting World/Whiteout)) -> Eine Trilogie, sehr ungewöhnlich und schön. 

Die Stücke gehören inhaltlich zusammen und erzählen die Geschichte einer jungen Frau, die ein Buch liest (sie weiß nicht mehr, woher sie es hat; war es ein Geschenk, oder hat sie es irgendwann selbst gekauft), in dessen Verlauf immer mehr Dinge und Personen aus ihrem echten Leben auftauchen: Ihre Freunde, ihre Eltern, sogar ihre Katze. Je weiter sie liest, desto mehr beschleicht sie das beklemmende Gefühl, dass all das, was im Buch erscheint, gleichzeitig aus ihrer Realität verschwindet. Sie schaut auf ihr Handy, aber der Speicher ist leer – keine Nummern, keine Nachrichten. Sie geht durch ihre Wohnung und stellt fest, dass alle Fotos verblasst sind und nichts mehr darauf zu erkennen ist. Es zieht ihr den Boden unter den Füßen weg, aber sie sagt sich: Das kann alles nicht sein! Sie beschließt, schlafen zu gehen und hofft, dass am nächsten Morgen alles vorbei sein wird. Doch leider ist die Situation unverändert und sie glaubt, dass sie entweder verrückt geworden ist, oder dass etwas gänzlich Unvorstellbares geschehen ist. Sie erlebt ihren persönlichen WHITEOUT.
Das Stück ist ein Bild für die Situation unserer Welt. Wir müssen grundlegende, immens wichtige Entscheidungen treffen, aber gleichzeitig haben wir immer weniger Bezugs- und Orientierungspunkte. Das gilt sowohl für die Menschheit als Ganzes, als auch für den Einzelnen.

5) Insgesamt ist das Album sehr abwechslungsgreich geworden. Das muss sehr viel Arbeit und Freude gewesen sein, das zu produzieren. Kann man das Album auch in der Schweiz und in Österreich erwerben?

Unser Vertrieb Timezone liefert eigentlich auch nach Österreich und in die Schweiz, aber der Shop meiner Homepage www.isgaard.com liefert überall hin ;-) Und als Download wird das Album über diverse Seiten verfügbar sein (siehe nächste Frage), wohingegen wir keine Streamingdienste bestücken, weil die Künstler dort nicht ansatzweise fair vergütet werden. Streaming kills music!
Die Produktion hat inklusive Kompositionsphase mehr als ein halbes Jahr gedauert und das, obwohl Jens im Studio ungewöhnlich effektiv und zielstrebig arbeitet. Aber vor allem die Streicheraufnahmen haben viel Zeit erfordert und auch beim Mischen nehmen wir uns immer die soviel Zeit, dass wir beide glücklich sind mit dem Ergebnis.

6) Wo kann man mehr über Isgaard im Netz finden?

Auf meiner Homepage www.isgaard.com, aber auch auf meiner Facebook-Künstlerseite...die ist manchmal besser bestückt und aktueller als meine HP...typisch für das Zeitalter und eigentlich ein Unding. Die beste Download-Seite ist eindeutig www.bandcamp.com. Dort kann man in allen möglichen Formaten herunterladen, eben auch in einer vernünftigen Qualität (CD oder sogar besser) und nicht in dieser ärmlichen MP3-Qualität, die allenfalls für unterwegs reicht ;-)